1. Die Geschichte einer Brennerei
Der beste Standort für eine Brennerei?
Ein unwirtliches Grenzgebiet mitten in der Getreiderepublik. In einem rauen, entfernten Winkel unseres Landes. In einer Region voller Gegensätze, mit historisch reichen Großbauern, die eigenhändig den Nährboden für den Samen des Kommunismus bereitstellten. Lernen Sie Freek, Arend, Stien, Hendrik und Wigbolt kennen und erfahren Sie die Hintergründe der Entstehung des Kommunismus in dieser Getreiderepublik.
Brenzliche Lage!
Reisen Sie mit ins Jahr 1874?
Zu dieser Zeit wird gerade zwölf Kilometer östlich von dieser Brennerei der Reiderwolderpolder trockengelegt. Innerhalb von zwei Jahren wird hier ein Teil des Meeres in den fruchtbarsten Lehmboden der Welt umgewandelt und für den Getreideanbau vorbereitet. Dank der wogenden Goldhalme schwimmen die Großbauern hier im Geld anstatt im Wasser. Mit ihren schlossartigen Häusern und den dazugehörigen botanischen Gärten übertrumpfen sie sich gegenseitig. Die Landarbeiter werden derweil ausgebeutet und unterdrückt. Für ein krankes Pferd lässt man den Arzt kommen, ein kranker Knecht jedoch kann seine sieben Sachen packen. Außerdem gibt es im Winter überhaupt keine Arbeit auf den Bauernhöfen. Wer in dieser Gegend für einen Bauern arbeitet, der kennt den Geschmack des Hungers…
Charakterstark
Auch die Großbauern scheinen einen unstillbaren Hunger zu haben – allerdings Hunger nach Land und Geld. Immer mehr Land ringen die Bauern dem Meer ab, vor allem durch den Einsatz der billigen Muskelkraft ihrer Arbeiter. Freigekämpfte Landarbeiter wie Freek, Arend, Stien, Hendrik und Wigbolt kommen in Aufstand gegen das große Geld. Mit hoch gestreckter Faust fordern sie Gleichberechtigung!
2. Stien lässt sich von niemandem herumkommandieren. Auch nicht von Hendrik. Im Dorf blickt man auf sie herab. Sie leben zwar zusammen in ihrem kleinen Haus mit dem undichten Dach, aber verheiratet sind sie nicht. Sie ist eine stolze Frau, mit erhobenem Kinn und geradem Rücken. Ihre Formen sind rund und voll. Müßiggang ist ihr zuwider, aber ihr Großbauer beutet die beiden schamlos aus. Sie bekommen gerade genug, um nicht zu verhungern, aber zu wenig, um irgendeine Aussicht auf Besserung zu haben. Sie hat die Nase gestrichen voll und hat Hendrik gemeinsam mit ihren Kameraden Wigbolt, Arend und Freek davon überzeugt, in Aufstand zu kommen. Bald werden sie, in Rot gehüllt, die ‘Revolution in der Getreiderepublik’ entfesseln.
Hendrik ist tief im Groninger Lehmboden verwurzelt. Trotz seiner blonden Locken ähnelt er dem eigensinnigen, schweren und dunklen Lehmboden, der stolz im Regen glänzt und in der Sonne harte, trockene Risse zeigt. Die einzige, die zu seinem weichen Kern vorzudringen versteht, ist Stien. Für sie tut er alles. Stien verleiht ihm Mut und mit ihr an seiner Seite fühlt er sogar seinen schmerzenden Rücken nicht mehr. Gemeinsam sind sie stark. Schon bald ziehen sie mit hochgestreckter Faust durch die Straßen. Der Großbauer mit seinen hübsch sauberen Händen, seinem piekfeinen botanischen Garten mit der protzigen Blutbuche vor dem Haus, sollte sie wirklich besser bezahlen.
3. Eine Blutbuche | 50 Hektar oder 25.000 Gulden?
Hatte man früher 25.000 Gulden auf der Bank, dann bekam man von der Bank eine Blutbuche geschenkt. So heißt es jedenfalls in der Überlieferung. Eine historische ungeschriebene Regel ist aber die Tatsache, dass man eine Blutbuche im Vorgarten seines Groninger Bauernhofes pflanzen darf, wenn man mindestens 50 Hektar Boden besitzt. Eine Blutbuche symbolisiert Luxus und Reichtum. Viele der Bäume wurden gesäumt von einem englischen Landschaftsgarten mit kleinen Pfaden, Teichen und hübschen Aus- und Durchblicken. Im Laufe der Jahre sind viele der botanischen Gärten verschwunden, aber die Buchen sind zu Prachtexemplaren herangewachsen!
4. Wigbolt ist ein eigenwilliger Geist, der viele Frauenherzen schneller schlagen lässt. Er ist stark wie ein Bär und hat einen ebenso starken Gerechtigkeitssinn. Seine Mutter arbeitete als Dienstmagd für den Großbauer. Sonntags ging sie mit ihm in die Kirche, unter dem Motto: “Es gibt nur einen Herrn”, und das ärgerte Wigbolt schon als er noch ein kleiner Junge war. Ebenso wie die vielen Groschen die er von seinem Herrn bekam. Der Großbauer gab ihm 5 Pfennige für gute Noten und einen Groschen für schlechte. Inzwischen hat er es umdrehen können. Er hat eine eigene Brennerei, in der er aus dem Getreide des Hofes seinen eigenen Schnaps brennt: Fladderak. In seiner Scheune werden die 5-Pfenningstücke des Großbauern zu Schnaps-Groschen. Der Bauer bezahlt für den Schnaps natürlich mehr als die Arbeiter. Seine eigener kleiner Akt des Widerstands.
5. Freek ist Wirt einer kleinen Bierstube in Oostwold. Es ist seine eigene Bierstube. Hierher kommen die Arbeiter freitags, wenn sie ihren Wochenlohn bekommen haben, auf einen Schnaps oder zwei… Der stinkend reiche Großbauer hat ihm schon dreimal gesagt, er wolle seine Bierstube kaufen: “So bekomme ich das Geld gleich zurück!” Aber Freek fühlt nichts für das große Geld und er lässt sich nicht kaufen. In seiner Bierstube spricht er mit Kameraden über den Sozialismus; alle sind gleich! Hier werden häufig die Bücher von Autoren wie Multatuli und Ferdinand Domela Nieuwenhuis zitiert und eines Abends planen er und seine Freunde am Tresen einen Aufstand. Auf in den Kampf. Für gleiche Rechte und mehr Lohn! Am darauffolgenden Sonntag geht Stien mit roten Bändern an den Beinen auf die Straße. Wigbolt, Hendrik und Freek folgen mit hoch gestreckter Faust, eine rote Fahne schwenkend.
6. Arend ist ein intelligenter Pfarrer mit einer schnellen Auffassungsgabe. Er ist jung und seine Kirche ist jeden Sonntag voll. Nicht etwa wegen seiner Predigten, sondern weil der reiche Großbauer an den Gottesdiensten teilnimmt. Der Herr blickt von seiner erhöhten Kirchenbank auf seine Arbeiter herab und kann genau sehen, wer dort ist und wer nicht. Auf diese Art möchte Arend kein Pfarrer sein. Eines Abends sitzt er in der Bierstube von Freek und in einer Ecke sitzen Stien, Hendrik und Wigbolt. Jeden Sonntag sieht und spricht er die drei, aber heute flüstern und munkeln sie in einer heimlichen und fest entschlossenen Haltung. Als er die Worte ‘Aufstand’ und ‘Widerstand’ hört, weiß er genug. Am Tresen schreibt er die ersten Zeilen des ‘Manifest der Getreiderepublik’, er schiebt der Gruppe sein Papier zu und bietet damit seine Hilfe an.
7. Entstehung von Sozialismus & Kommunismus
Sogar viele Bauern und lokale Prominenz unterstützten die Bewegung für Lohnerhöhung und allgemeines Wahlrecht. Herr Derk Roelfs Mansholt aus Meeden war außer Großbauer auch Publizist und Aktivist. Er holte sozialistische Redner, wie Multatuli und Ferdinand Domela Nieuwenhuis nach Oldambt, die die schlimmen Zustände in Worte fassten. Insbesondere Land- und Fabrikarbeiter hingen Nieuwenhuis an den Lippen.
Multatuli ist ein Pseudonym von Eduard Douwes Dekker (2. März 1820 – 19. Februar 1887). Er war ein niederländischer Schriftsteller und Verwaltungsbeamter, der insbesondere aufgrund seines Romans Max Havelaar bekannt wurde. In diesem Debütroman prangert er auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrungen die Behandlung der örtlichen Bevölkerung durch die Kolonialverwaltung Niederländisch-Indiens an.
Ferdinand Domela Nieuwenhuis (31. Dezember 1846 – 18. November 1919) war ein niederländischer sozialistischer Politiker und später ein Sozialanarchist und Antimilitarist. Domela Nieuwenhuis gilt als einer der Begründer der sozialistischen Bewegung in den Niederlanden. 1879 gründete er die Zeitschrift „Recht voor Allen“ (Recht für alle). 1898 war er der Gründer der Zeitschrift „De Vrije Socialist“ (der freie Sozialist). Domela Nieuwenhuis fühlte sich immer stärker zu Anarchismus und Revolution hingezogen.
8. „Unter Dach und Fach“
Im Deutschen ist man sicher, sobald alles unter Dach und Fach gebracht ist, in den Niederlanden möchte man „unter den Pfannen“ sein (onder de pannen zijn). Wer nämlich so reich ist, dass er sich ein Dach aus Dachpfannen oder Dachziegeln leisten kann, der hat keinerlei Sorgen mehr. In Groningen waren nicht nur die Wohnhäuser, sondern auch die großen Getreidescheunen mit Dachpfannen gedeckt, ganz im Gegensatz zu den armen Sandbauern der Provinz Drenthe, die sich nur mit Schilfrohr gedeckte Reetdächer leisten konnten. Ob dieser Ausdruck wohl aus Oldambt kommt, was meinen Sie?